1,8 Millionen Menschen leben mit einer Demenzerkrankung – diese Angabe ist oft zu hören, wenn über Demenz berichtet wird. Doch was bedeutet das konkret für die Betroffenen? Wie gestaltet sich ihr Alltag? Wie geht unsere Gesellschaft mit dieser Herausforderung um? Und vor allem: Wie können wir mit Menschen mit Demenz in den Dialog treten, anstatt nur über sie zu sprechen?
Diesen Fragen sind die Studierenden des Studiengangs Pflegewissenschaft im Modul „Demenz“ unter der Leitung von Prof. Anne Roll nachgegangen. Ziel war es, den Unterricht nicht nur theoretisch zu gestalten, sondern Menschen mit gelebter Erfahrung aktiv einzubeziehen.
Ein besonderer Gast war Herr Volkmar Schwabe. Er lebt seit einigen Jahren mit einer Demenzerkrankung und engagiert sich seither als Beirat der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und Mitgestalter in Forschungsprojekten, bei Kongressen und in der öffentlichen Debatte. Auch an der Hochschule Bochum war er nun zu Gast, um mit den Studierenden ins Gespräch zu kommen.
Offen und praxisnah berichtete Herr Schwabe aus seinem Alltag – von seinen Strategien im Umgang mit der Erkrankung, seinen Routinen, seinem Sportprogramm und dem kognitiven Training mit einer App. Er nutzt digitale Assistenzsysteme wie Alexa, aber auch ein analoges Magnetboard, um den Überblick über Termine zu behalten. Sein Motto: Der Erkrankung aktiv begegnen.
Die Studierenden diskutierten im Anschluss in Gruppen, was es bedeutet, wenn eine Gesellschaft demenzfreundlicher wird. Drei Themenfelder standen im Fokus:
- Alltag und Orientierung
- Teilhabe und Begegnung
- Ein demenzfreundliches Krankenhaus
Im Themenfeld „Alltag und Orientierung“ setzten sich die Studierenden mit dem Phänomen „Vergessen in der Stadt“ auseinander. Gemeinsam überlegten sie, wie öffentliche Räume gestaltet sein müssten, um mehr Sicherheit, Orientierung und Lebensqualität für Menschen mit Demenz zu bieten. Genannt wurden u. a. längere und synchron geschaltete Ampelphasen, der gezielte Einsatz von Kontrasten zur besseren Wahrnehmung, barrierefreie Sitzgelegenheiten sowie Schulungen für Mitarbeitende im öffentlichen Dienst und Einzelhandel – also dort, wo alltägliche Begegnung stattfindet.
Beim Thema Teilhabe und Begegnung wurde betont, dass es bereits Angebote gibt, diese aber oft schwer erreichbar sind – insbesondere, wenn die Mobilität eingeschränkt ist. Transportmöglichkeiten müssen mitgedacht werden. Es braucht mehr Räume, die Menschen mit Demenz aktiv einbeziehen – beispielsweise Cafés, in denen sie selbst mitarbeiten und ins Gespräch kommen können, wie es internationale Modelle bereits zeigen. Auch die Rolle von Begleitpersonen sollte sichtbarer werden, um den Zugang zu sozialen Angeboten zu erleichtern.
Zum Thema Krankenhaus hielten die Gruppen fest: Menschen mit Demenz benötigen dort feste Ansprechpersonen, sichtbare Tagesstrukturen, Orientierungshilfen wie Farbleitsysteme, sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten und vor allem geschultes Personal. Die Einführung von Demenzbeauftragten oder -coaches wurde ebenfalls als wichtig erachtet.
Herr Schwabe begleitete die Gruppenarbeiten mit seiner Erfahrung, stand beratend zur Seite und gab wertvolles Feedback. Zum Abschluss wurden die Ergebnisse im Plenum vorgestellt und intensiv diskutiert.
Dieser Workshop war ein Auftakt – ein Einstieg in die Frage: Was braucht eine Gesellschaft, um demenzfreundlicher zu werden? Doch braucht es überhaupt eine demenzfreundliche Gesellschaft – oder vielmehr eine menschenfreundliche? Diese Frage und erste Ansätze zu ihrer Beantwortung werden die Studierenden auch über das Modul hinaus weiterhin begleiten.
Text: Prof. Dr. Anne Roll