Hochqualifizierte Hebammen für eine bessere Versorgung von Frauen und Familien

18.12.2025 Magazin

Neuer Masterstudiengang Hebammenwissenschaft eröffnet Karrierewege in Praxis, Forschung und Management.

Der Weg in den Hebammenberuf führt in Europa heute über ein Bachelorstudium. Darauf aufbauend wurde an der Hochschule Bochum ein auf drei Semester ausgelegter Masterstudiengang Hebammenwissenschaft entwickelt, der zum Sommersemester 2026 startet. „Es gibt in Deutschland nur wenige fachspezifische Masterstudiengänge für Hebammen. Dass wir in der Entwicklung des Studienangebots so schnell waren, ist kein Zufall“, erklärt Prof. Dr. Ute Lange. „Wir bieten bereits seit über 15 Jahren ein Hebammenstudium auf Bachelorniveau an, das wir nun mit unserer breiten Expertise zu einem anspruchsvollen und profilbildenden Masterstudium weiterentwickelt haben.“ 

Im Interview geben die Professorinnen Dr. Ute Lange, Dr. Cornelia Kolberg-Liedtke und Dr. Mirjam Peters Einblicke ins Studium.

Wie entwickelt sich die Hebammenwissenschaft in Deutschland?

Prof. Dr. Ute Lange: Die Hebammenwissenschaft ist hierzulande eine noch junge Disziplin, die wächst und immer mehr an Bedeutung gewinnt. Sie verfolgt das Ziel, die geburtshilfliche Versorgungsqualität von Frauen und Familien nachhaltig zu verbessern, indem sie aktuelles Handeln überprüft, neue Standards entwirft und auf komplexe Fragestellungen aus der Praxis passende Forschungsergebnisse als wegweisende Antwort liefert. Forschung ist daher eine wichtige Säule unseres Masterstudiengangs. Aktuelle und zukünftige Herausforderungen wie Digitalisierung, Klimawandel und demografische Verschiebungen erfordern eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der geburtshilflichen Versorgung. 

Wie bereitet das Masterstudium Hebammen auf Forschungstätigkeiten vor?

Prof. Dr. Mirjam Peters: Aufbauend auf den Erkenntnissen aus ihrem Bachelorstudium, erweitern die Studierenden ihre wissenschaftlichen Kompetenzen. Sie lernen Forschungsvorhaben selbständig umzusetzen, lernen neue Studiendesigns kennen und auch komplexe Ergebnisse kritisch zu hinterfragen sowie Schlussfolgerungen für Wissenschaft und Praxis abzuleiten. Die Studierenden üben, Forschungserkenntnisse in fachlichen Diskussionen zu präsentieren und sie aus dem wissenschaftlichen Kontext zu lösen und in die Praxis zu transferieren, denn nur so kann die Versorgungsqualität gesteigert werden.

Prof. Dr. Ute Lange: Uns ist es wichtig, dass die Studierenden als Hebammen ihr Berufsbild gut ausfüllen, darüber hinaus aber auch Wissen an die Hand bekommen, um die Zukunft des Hebammenberufes und die Versorgung aktiv und jeweils an die Bedingungen angepasst weiter zu entwickeln. 

Prof. Dr. Cornelia Kolberg-Liedtke: Der Hebammenberuf ist heute bereits vielfältig und wird zunehmend vielfältiger. Hebammen betreuen Frauen und Familien längst nicht mehr allein in der Zeit vor, während und nach der Schwangerschaft, im Zuge der Geburt, im Wochenbett, in der Stillzeit und der Zeit der Familienwerdung. Vielmehr gibt es viele Bereiche, in denen Hebammen auch darüber hinaus derzeit schon oder zumindest zukünftig Frauen und Familien unterstützen können. Zum Beispiel, indem Hebammen Frauen und Familien in herausfordernden Situationen wie einer Fehlgeburt betreuen, als Familienhebammen psychosoziale Beratung leisten oder Frauen sogar in der Zeit der Menopause begleiten. Wir benötigen qualifizierte Hebammen auf Masterniveau, die diesen Prozess aktiv mitgestalten. 

Setzt dort auch die zweite Säule des Masterstudiengangs - Advanced Midwifery Practice - an?

Prof. Dr. Cornelia Kolberg-Liedtke: Ja, Advanced Midwifery Practice ist ein international etabliertes Konzept mit dem Ziel, die Rolle der Hebammen zu stärken und ihr Handlungsfeld zu erweitern. Es umschreibt die Arbeit hochqualifizierter Hebammen, die vertiefte wissenschaftliche und erweiterte professionsspezifische praktische Kompetenzen in der geburtshilflichen Versorgung aufweisen. In den Modulen erweitern die Studierenden ihre Kompetenzen in Bezug auf hochkomplexe Situationen in der Geburtshilfe, in denen die Frauen und Familien einen besonderen Unterstützungsbedarf haben, um neue bedarfsgerechte Beratungs- und Betreuungskonzepte zu entwickeln.

Prof. Dr. Mirjam Peters: Die Studierenden lernen bestehende Versorgungsstrukturen zu analysieren und Innovationspotenziale zu identifizieren. Sie setzen sich im Masterstudium damit auseinander wie neue evidenzbasierte Versorgungsmodelle entwickelt, in die Gesundheitsversorgung implementiert und evaluiert werden können.

Prof. Dr. Ute Lange: Wichtig: Dabei geht es nicht darum, dass Handlungsfeld auf ärztliche Aufgaben zu erweitern beziehungsweise diese konkret zu übernehmen. Vielmehr bleiben die Studierenden in ihrer Hebammenrolle, lernen aber sich in der Entwicklung sowie Implementierung von neuen Versorgungskonzepten und auch Weiterentwicklung von bestehenden Versorgungskonzepten sicher zu bewegen und diese aktiv und auf wissenschaftlicher Basis mitzugestalten. Die Studierenden analysieren unter anderem komplexe Betreuungssituationen aus ihrer eigenen Praxis und entwickeln Lösungen. Das Masterstudium bietet Hebammen Raum, sich gemäß ihren Interessen weiter zu entwickeln, dies kann sich auf Projekte in der Praxis aber auch auf Leitungsaufgaben oder eine akademische Karriere beziehen.

Die dritte Säule des Masterstudiengangs stützt sich auf Leadership und Management. Was erwartet die Studierenden dort?

Prof. Dr. Mirjam Peters: Die Studierenden beschäftigen sich mit Controllinginstrumenten in der geburtshilflichen Versorgung und setzen sich mit Personalführung und -entwicklung auseinander. Sie üben die Moderation von Teamsitzungen und Fallbesprechungen, lernen Techniken des Konfliktmanagements kennen und Veränderungsprozesse durch Change- und Projektmanagement zu begleiten. Darüber hinaus lernen sie die Krisenkommunikation in Notfallsituationen zu koordinieren und unter Druck fundierte Entscheidungen zu treffen.

Prof. Dr. Cornelia Kolberg-Liedtke: Neben den drei Säulen – Forschungskompetenz, Advanced Midwifery Practice sowie Management und Leadership – werden weitere spannende Module angeboten. Die Studierenden können wählen, ob sie sich über Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Hebammenwissenschaft oder Ultraschalldiagnostik weiterbilden möchten. Darüber hinaus setzen sie sich intensiv mit dem Thema Women Global Health auseinander, das heißt, sie erhalten tiefgründige Einblicke in Gesundheitssysteme und -situationen anderer Länder. Wir möchten die Studierenden dazu befähigen, sich in nationalen wie internationalen Gremien an Diskussionen zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Frauen und ihren Familien in der Lebensphase Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit aktiv zu beteiligen und die Gesundheit von Frauen auf globaler Ebene zu fördern. Dafür benötigen sie die internationale Perspektive auf die Frauengesundheit.

Wie gewinnen die Studierenden genau diese internationale Perspektive?

Prof. Dr. Ute Lange: Im Studium lernen die Studierenden, die Auswirkungen sozialer, wirtschaftlicher, politischer, ökologischer, umweltbedingter und kultureller Faktoren auf die Gesundheit von Frauen zu erkennen. Sie analysieren gesundheitliche Ungleichheiten und globale Gesundheitsprobleme in verschiedenen Regionen und lernen eigene Strategien für gesundheitliche Chancengleichheit und die Gesundheit von Frauen auf globaler Ebene zu entwickeln. Sie üben, politische Maßnahmen und globale Gesundheitsprogramme kritisch zu beurteilen. Wir ermutigen Studierende auch, während des Masterstudiums einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren.

Kann das Masterstudium berufsbegleitend absolviert werden?

Prof. Dr. Mirjam Peters: Grundsätzlich ist es ein Vollzeitstudium. Der Masterstudiengang richtet sich aber nicht nur an Studieninteressierte, die gerade ihr Bachelorstudium abgeschlossen haben, sondern auch an solche, die als Hebamme mit Bachelorabschluss in der Praxis tätig sind und auf einen fachspezifischen Masterstudiengang gewartet haben. Um Planbarkeit zu ermöglichen werden Lehrinhalte in geblockten Präsenzwochen sowie digital angeboten. Neben Lehrveranstaltungen wird es übrigens unterschiedliche Lehrformate geben: Rollenspiele, Simulations-Trainings, Skills-Lab-Übungen, praxisnahe Fallstudien, strukturierte Debatten, Reflexionsübungen, Gruppen- und Projektarbeit.

Welche beruflichen Perspektiven bietet der Studiengang? 

Prof. Dr. Cornelia Kolberg-Liedtke: Die Studierenden qualifizieren sich für Führungs- und Gestaltungsaufgaben - insbesondere in komplexen Settings - in Kliniken, Hebammenpraxen, Geburtshäusern, Gesundheitsbehörden, Instituten sowie Berufs- und Fachverbänden. Wir beobachten einen hohen Bedarf an Hebammen in der Forschung, auch dort können Absolvent*innen tätig sein, an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus öffnen sie sich mit dem Masterabschluss die Tür zur Promotion. 

Prof. Dr. Ute Lange: Die Möglichkeit eines fachspezifischen Masterstudiengangs ist ein bedeutender Schritt in der Professionsentwicklung der Hebammen allgemein und für die einzelne Kollegin eine Chance zur Erweiterung eigener beruflicher Möglichkeiten und Perspektiven.


Das Interview führte Daniela Schaefer, Online-Redakteurin.