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PILHATSCH INGENIEURE | „Projektentwicklung in urbanen Beständen. Warum alle Beteiligten zuerst eine solide Datenbasis benötigen.“ | BIM Bier+Brezeln digital | 15. Juni 2021


Martin Pilhatsch von Pilhatsch Ingenieure stellt in seinem Vortrag verschiedene BIM-Projekte vor, an welchen er mitgewirkt hat und zeigt auf, dass eine frühe Einbindung der Vermessung sowie eine frühe Zusammenarbeit von Architekten und Geodäten zum Projekterfolg beitragen kann.

Jede große Planungsaufgabe benötigt eine solide Datenbasis. Insbesondere der stark zunehmende Anteil des Bauens im Bestand setzt eine Bestandsaufnahme der realen Gegebenheiten voraus. In einer Vielzahl an Bauprojekten sind die Planungsbeteiligten mit unzuverlässigen Bestandsplänen und unvollständigen Bauakten konfrontiert und erhalten zusammengefasst unsichere Dokumentationen der baulichen Umsetzung. BIM kann als zentrales Mittel zur zukünftigen Verbesserung dieser Situation beitragen. Mit der Abbildung der Realität als 3D-Bestandsmodell in Verknüpfung mit 2D-Bestandszeichnungen in Form von Grundrissen, Schnitten und Ansichten liegt eine Grundlage zum Entgegenwirken von Unsicherheiten vor.

Die Vorzüge der Bestandsaufnahme und dem damit verbundenen Arbeitsaufwand bis hin zur Verfügungstellung des BIM-Modells, vermittelt Herr Pilhatsch anhand eines Bauprojekts im Deutzer Hafen in Köln, für welches eine digitale Bestandserfassung durchgeführt werden sollte: Die Erfassung erfolgte in mehreren Messepochen ausschließlich mittels Laserscanner durch Außenstandpunkte um das Gebäude und auf dem Dach während des laufenden Betriebs. Es entstanden ca. 2,5TB Rohmessdaten. Durch den Einsatz der Geodäten und die Verwendung eines soliden Festpunktnetzes, kann eine Standardabweichung von <0,5cm garantiert, weitere Genauigkeiten und die Lage der Grundstücksgrenzen nachgewiesen werden. Die Modellierung der Punktwolke erfolgte in Revit. Da das Gebäude über die Jahre immer wieder erweitert wurde, birgt jede Epoche einen anderen Planungsstil. Somit wurden über 125.000 einzelne Bauteile modelliert. Allein die Kategorie ‚Fenster‘ enthält zur realitätsgetreuen Abbildung der ca. 1.200 Fenster über 200 Familien. Parallel zur Modellierung erfolgte ein regelmäßiger Abgleich durch Überlagerung der Punktwolke mit dem Modell. Insgesamt wurden sechs einzelne Revit-Modelle sowie 26 2D-Zeichnungen erstellt. Die Daten wurden online in einem Viewer zur Einsicht bereitgestellt.

Das Beispielprojekt des Factory Campus in Düsseldorf benötigte ebenfalls die digitale 3D-Bestandserfassung und die Erstellung eines Bestandsmodells sowie eines BIM Modells für die Ausführungsplanung. Mit über 57.000 Bauteilen und beispielsweise 60 verschiedenen Geländer-Familien, gestaltete sich die Modellierung als schwierig. Herr Pilhatsch betont, dass die einfache Nachmodellierung der Punktwolke nicht ausreicht. „Bei jedem Projekt gibt es Besonderheiten zu beachten. Eine Standard-BIM-Bearbeitungsmethode existiert nicht.“ so Martin Pilhatsch. Pläne müssen studiert und sich mit dem Verwendungszweck des Gebäudes auseinandergesetzt werden, da beispielsweise in vielen Fällen nicht ersichtlich war, was durchgehende bzw. abschließende Elemente sind. Zudem wird die herkömmliche Arbeitsweise mit 2D-Zeichnungen nicht gänzlich von BIM ersetzt. Die Offenheit hin zu den neuen digitalen Trends ist aber vorhanden: Immer mehr Architektenbüros möchten ebenfalls als Planungsgrundlage die Punktwolke zur Verfügung gestellt bekommen.

Als abschließendes Beispiel und Ausflug in den Städtebau stellt Herr Pilhatsch den Nutzen von Bestandserfassungen in der Quartiersentwicklung vor. Durch ein einheitliches Koordinatenbezugssystem, welches durch die Koordinaten eines, in allen Modellen berücksichtigten, fest definierten Punkts festgelegt wird, kann das Bauwerk inklusive des Umgebungsmodells visualisiert und für Visualisierungszwecke bei Öffentlichkeitsentscheiden verwendet werden. Eine solide Datenbasis generiert Sicherheit und Standfestigkeit, u.a. durch die Verwendung von Aufmaßen, nicht von Annahmen und führt zudem zu einer „planerischen Ruhe“ im Projekt.

Q & A

Q: Wurden die Bauteile automatisiert bzw. halbautomatisiert aus der Punktwolke abgeleitet, oder händisch modelliert?

A: Die Bauteile wurden per Hand modelliert. Eine halbautomatische bzw. automatische Ableitung der Bauteile sehe ich noch nicht.

Q: Erfolgte anschließend eine Validierung des Modells gegen eine Punktwolke oder andere Vermessungsdaten? Wenn ja, wie sind Sie vorgegangen und welche Programme wurden verwendet?

A: Es ist notwendig, die Punktwolke regelmäßig zum Modell für den direkten Vergleich hinzuzufügen. Eine Software, die das ermöglicht, ist Revit.

Q: Verwenden Sie besondere Hardware zur Verarbeitung großer Datenmengen?

A: Wir als Vermessungsbüro arbeiten durch die Rohmessdaten, Registrierungsdaten und Punktwolken in anderen Größenordnungen, wo die Hardware immer wieder nachgerüstet werden muss. Am Ende müssen Modelldaten abgeben werden, die sich auch von normalen leistungsfähigen Rechnern ohne Performanceprobleme nutzen lassen können. Hier empfiehlt es sich, die Modelle sinnvoll zu teilen.

Q: Wie hoch ist der Anteil an Information aus Aufmaßen gegenüber dem Anteil an Bestandsdaten aus z.B. Plänen im Bestandsmodell?

A: In den vorgestellten Beispielprojekten wurden ausschließlich Messdaten verwendet. Pläne werden hinzugezogen, wenn das Erkennen von bestimmten Zusammenhängen nicht eindeutig aus den Scandaten hervorgeht. Wir tragen Verantwortung für das, was wir abgeben und sind froh, dass wir die Informationen aus den eigenen Messdaten ableiten können. Was nicht daraus abgeleitet werden kann, muss dementsprechend gekennzeichnet werden.

Q: Werden die Bestandspläne per Algorithmus/ automatisch mit den Punktwolkendaten abgeglichen, um festzustellen, welche Bauteile durchgängig sind oder nicht?

A: Wir nutzen keine Automatisierung.

Q: Bestandsmodelle in Revit: Wie viele Personen wirken an einem Modell mit und wie lange?

A: Projekte in der vorgestellten Größenordnung sind nicht in wenigen Wochen abgeschlossen. Das Mühlenprojekt läuft über mehrere Jahre, wobei die Modellierung ca. 1 Jahr in Anspruch genommen hat. Bei dem anderen Projekt dauerte die Modellierung einige Monate. Mit der Modellierung sind mehrere Leute beschäftigt.

Q: Welchen Hintergrund haben die Leute, die modellieren?

A: Learning by Doing! Der nächste Schritt im Büro ist die Anstellung von Bauingenieuren. Bisher beschäftigen wir Vermessungsingenieure mit Fortbildungen und eine Architektin. Voraussetzung als Vermesser ist, sich für die Sichtweise der Architekten und Bauingenieure zu interessieren.

Q: Wie anspruchsvoll war das Genehmigungsverfahren zur Drohnenbefliegung an der Mühle? Insbesondere in Köln und dann noch unmittelbar am Rhein, stelle ich mir das schwierig vor...

A: Schwierig, aber lösbar.

Q: Architekten nehmen Modelle begeistert auf. Ist das flächendeckend so oder könnte es noch eine Steigerung geben? Was gibt es hier für Probleme spezifisch aus Architektensicht durch Revit?

Wir maßen uns nicht an, dem Architekten vorzuschreiben, wie man plant. Wenn eine 2D-Planung gewünscht ist, liefern wir in 2D. Trotzdem erfassen wir in 3D und können dann bei der Anforderung z.B. weiterer Schnitte schnell reagieren. Es gibt noch eine ganze Reihe Kollegen, die noch in 2D planen, da sie sich auf kleinere Projekte spezialisiert haben und kein BIM verwenden möchten. Aber mittlerweile gibt der Auftraggeber auch Anweisungen vor, so dass die Beteiligten über BIM-Wissen verfügen müssen. Probleme gibt es hinsichtlich der Softwarekompatibilität und der Bibliotheken. In der Landschaftsarchitektur gibt es beispielsweise noch keine Bibliotheken.

Q: Haben Sie eine Modellierungsrichtlinie, nach der die Modellierung angegangen wird?

A: Ja, wir haben eine interne Modellierungsrichtlinie. Trotzdem fragen wir bei jedem Projekt nach, ob der Auftraggeber etwas in den AIA festgelegt hat. Manchmal erhalten wir auch Vorlagen von Architekten oder durch die AIA und wir müssen unsere eigenen Vorgaben anpassen.

Q: Es gibt ja entsprechende Bezeichnungen für die geometrische Richtigkeit und Genauigkeit (LOD, LOA, etc.). Finden sich diese Bezeichnungen so in den AIA wieder oder sind diese anders umschrieben?

A: Es wird umschrieben. Der Auftraggeber gibt an, was das Ziel ist und definiert Genauigkeiten in cm. Das Modell wird je nach Leistungsphase Stück für Stück verfeinert. Ausschreibungstexte mit Vorgaben für LOIs und LOAs sind in der Praxis weniger relevant und entscheidend als in der Literatur.

Q: Führt das zu Konflikten und Nachträgen, wenn das nicht zahlenmäßig beschrieben ist?

A: Es gibt Neueinsteiger, oder Quereinsteiger. Aber wir können durch unsere Erfahrung gut einschätzen was benötigt wird und stimmen uns natürlich auch ab. Aber es gibt Erfahrungswerte, was für welchen Zweck und in welcher Genauigkeit erforderlich ist. Andersrum gibt es auch Neueinsteiger auf der Auftraggeberseite. Hier wird alles als Komplettpaket gefordert, obwohl noch nicht alles umsetzbar ist und es folgt Enttäuschung.