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Von der Fachhochschullehrerin zur Professorin

An deutschen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften resp. Fachhochschulen stellen Frauen insgesamt nur ein Viertel aller Professuren. Damit sind sie immer noch stark unterrepräsentiert. Besonders in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sind nur wenige Professorinnen vertreten.

Als role models nehmen Professorinnen jedoch eine wichtige Vorbildfunktion für weibliche Studierende ein, die eine wissenschaftliche Karriere erträumen.


Die ersten Professorinnen an der FH Bochum

An der Hochschule Bochum sind aktuell 26 Professorinnen und zwei Vertretungsprofessorinnen beschäftigt. Zur Zeit der Gründung der Hochschule Anfang der 70er Jahre waren es noch deutlich weniger: 4 Frauen nahmen 1971 ihre Arbeit als Pionierinnen in der Lehre am neuen Hochschultyp Fachhochschule auf. Wer waren sie eigentlich und wie war ihr Weg an die FH Bochum? Wie ein Großteil ihrer männlichen Kollegen hatten die Fachhochschullehrerinnen, die zum Wintersemester 1971 ihren Dienst an der Fachhochschule Bochum antraten, nicht promoviert. Sie waren im Rahmen des so genannten Überleitungsverfahrens einige Jahre später zur Professorin ernannt worden. In den Vorlesungsverzeichnissen werden sie bereits Mitte der 1970er Jahre als Professorin geführt.

Das Überleitungsverfahren integrierte 1971 die Vorgängerinstitutionen[1] in die Fachhochschule Bochum. Per Gesetz wurde 1973 den Lehrkräften an den Fachhochschulen die Professur ermöglicht. Hauptberuflich lehrende Fachhochschullehrerinnen und -lehrer (Abkürzung: FHL) konnten bei Vorliegen der Voraussetzungen als Professorinnen und Professoren übernommen werden. Die Voraussetzungen waren etwa ein abgeschlossenes Hochschulstudium, eine pädagogische Eignung und besondere Leistungen bei der Anwendung oder Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Methoden (FHG § 32), Anforderungen, die auch heute noch für Professuren gelten. Eine Fachkommission des Senats prüfte die Eignung der Fachhochschullehrerinnen und -lehrer und legte dem Rektor anschließend eine Empfehlung vor. Der Minister für Wissenschaft und Forschung entschied abschließend über die Ernennung der Beamten oder Angestellten zu Professor*innen.


Folgendes konnte bislang zu den ersten Professorinnen recherchiert werden:

Diplom-Handelslehrerin Ingeborg Bingener

(Jg. 1922, Dienstzeit 1971-1986), Fachbereich Wirtschaft mit dem Lehrgebiet Bilanzen und Rechnungswesen.

Die Ernennung zur Professorin erfolgt 1982 im Rahmen des Übernahmeverfahrens, 1985 feierte sie bereits ihr 25jähriges Dienstjubiläum, vermutlich aufgrund der Tätigkeit an einer Vorgängerinstitution der Fachhochschule. Sie engagierte sich im Tierschutz, insbesondere gegen Tierversuche. Nach ihrer Dienstzeit wurde sie in den 1990er Jahren Initiatorin und erste Bundesvorsitzende der weltweit ersten Tierschutzpartei.

Diplom-Volkswirtin Helga Boß

(ca. Jg. 1930, Dienstzeit 1971-1994), Fachbereich Wirtschaft mit dem Lehrgebiet Volkswirtschaftslehre, insb. Finanzpolitik.

Sie war zuvor als Studienrätin an der Höheren Wirtschaftsfachschule Bochum, später Fachhochschule Bochum beschäftigt. Helga Boß war Mitglied im Konvent[2] der Hochschule. Im Wintersemester 1983 erfolgte die offizielle Überleitung in die Professur, gleichzeitig mit Edith Stolp.

Diplom-Oeconomin Edith Stolp

(Jg. 1944, Dienstzeit 1971-1998), Fachbereich Wirtschaft mit dem Lehrgebiet Volkswirtschaftslehre, insbesondere Konjunkturpolitik.

Nach einer praktischen Tätigkeit bei Hoesch in Dortmund trat sie 1971 in den Dienst der Höheren Wirtschaftsfachschule Bochum, später Fachhochschule Bochum. Sie fungierte als Mitglied im Konvent und mehrjährig als Behindertenbeauftragte.

Diplom-Chemikerin Waltraud Wagner

(Jg. 1931, Dienstzeit 1971-1989), Fachbereich Architektur, Lehrgebiet Bauchemie und Baustofftechnologie.

Sie war seit April 1966 für den Fachbereich Architektur tätig, wahrscheinlich zunächst an der staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen in Recklinghausen. 1982 erfolgte die Ernennung zur Professorin im Rahmen des Übernahmeverfahrens. Waltraud Wagner war Mitglied im Konvent.

Die erste im Rahmen eines Berufungsverfahrens berufene Professorin war:

Dr.-Ing. Ingeborg Hübner

(Jg. 1942, Dienstzeit 1977-2007), Fachbereich Elektrotechnik und Informatik, Denomination Allgemeine und Theoretische Elektrotechnik, Elektrophysik, Netzwerktheorie, Leitungs- und Schaltvorgänge, Fachgebiet Werkstoffe der Elektrotechnik.

Ingeborg Hübner hatte in Hannover studiert und promoviert und war die erste Professorin an der Hochschule Bochum, die seit ihrem Studium gezielt eine wissenschaftliche Karriere verfolgt hatte[3]. Bis heute ist sie eine der wenigen Professorinnen in der Elektrotechnik. Sie wurde Mitglied in verschiedenen Gremien, von 1986 bis 1993 erste Frauenbeauftragte der Hochschule und von 1993 bis 1996 Prorektorin für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben.

Mehr zur Person


Text und Recherche: Andrea Kiendl

[1] Diese waren die Höhere Wirtschaftsfachschule Bochum, die Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen Bochum und die Staatliche Ingenieurschule für Bauwesen in Recklinghausen.

[2] Der Konvent war ein zentrales Organ der Fachhochschulen und hatte folgende Aufgaben: 1. Beschlussfassung über den Erlass und die Änderung der Grundordnung auf Vorschlag des Senats, 2. Wahl des Rektors und der Prorektoren, 3. Entgegennahme des jährlichen Rechenschaftsberichts des Rektorats und Stellungnahme zu diesem Bericht, 4. Stellungnahme zum Hochschulentwicklungsplan. Dem Konvent gehörten Professor*innen, Mitarbeitende und Studierende im Verhältnis zwei zu eins an. Sie wurden von den Hochschulmitgliedern gewählt (s. FHG § 19).

[3] S. a. Kiendl, Andrea: Ingeborg Hübner: Die erste Professorin in der Elektrotechnik in NRW.
(Forschungs- und Bildungsplattform zur Geschichte des Ruhrgebiets frauen/ruhr/geschichte,   https://www.frauenruhrgeschichte.de/frg_biografie/ingeborg-huebner/, abgerufen am 24.01.2024)


Quellen/Literatur

  • Gesetz über die Fachhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (FHG) vom 20. November 1979
  • Hochschullehrer Verzeichnis, Band 2: Fachhochschulen Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1. Aufl. 1986 und 2. Aufl. 1992
  • Amtliche Bekanntmachungen der Fachhochschule Bochum ab 1 / 1981 ff
  • Fachhochschule Bochum, Informations-, Namens- und Vorlesungsverzeichnis, Wintersemester 1971/1972 ff
  • Personal- und Vorlesungsverzeichnisse der Fachhochschule Bochum ab Sommersemester 1973 ff
  • fh Informationen 1/78, Fachhochschule Bochum,  21.04.1978, S. 4
  • fh Informationen 2/78, Fachhochschule Bochum,  20.11.1978, S. 23
  • FHBO Journal, Zeitschrift der Fachhochschule Bochum 17/1988, S. 13
  • FHBO Journal, Zeitschrift der Fachhochschule Bochum 05/1993, S. 21